Soziale Arbeit sieht sich primär als Unterstützungs- und Hilfe-Instanz durch Erbringung sozialer Dienstleistungen. Nicht selten ist die Profession
unter dem Titel der Prävention eingebunden in die normalisierende Disziplinierung ihrer Klientel. Soziale Probleme als Folge von nicht mehr
wahrgenommenen Interessensgegensätzen und zunehmender sozialer Ungleichheit werden als Folge von „individuellen (Wahrnehmungs-,
Einstellungs-, Kompetenz- und Handlungs-)Defiziten“ (Stehr/Anhoru 2018, S.35) umgedeutet. Die ubiquitär vorhandenen Selektions- und
Exklusionsmechanismen des neoliberalen Kapitalismus gelten als unveränderbare „quasi natürliche“ Lebensbedingungen. Die Folgen des
Wettbewerbes, der immer auch VerliererInnen hervorbringt, werden den Individuen als selbstverschuldet zugeschrieben. Soziale Arbeit, ist
eingebunden in bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse und trägt durch ihre überwiegend verhaltenspräventive Arbeit zur
Individualisierung und Harmonisierung gesellschaftlich erzeugter Problemlagen bei. Thema der Veranstaltung ist wie Soziale Ungleichheit
reproduziert und wie Anpassung an Anomie zur Abweichung umdefiniert wird, was wiederum Soziale Arbeit mit normalisierenden und
disziplinierenden Maßnahmen auf den Plan ruft. Angebote z.B. zur Stärkung der Resillienz, Erhöhung der Frustrationstoleranz und gesunden
Lebensführung sind nur einige Beispiele, die den Individuen die Verantwortung für ihr Scheitern in der Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft
zuschreiben. Beim Bildungserfolg, beruflichem Erfolg, Gesundheitserfolg sei eben jeder „seines Glückes Schmied“, unabhängig von dem ihm bei
Geburt zugewiesenen Sozioökonomischen Status, der in der Regel im Rahmen der Selektion sozial vererbt wird. Verhältnisprävention, in Form
struktureller Verbesserung der Lebenslage in Bezug auf Einkommen, Wohnen/Wohnumfeld, Gesundheitsbedingungen und -versorgung, Arbeits-
und Bildungsbedingungen der Klientel, würde den Abbau sozialer Ungleichheit und damit gesellschaftliche Veränderungen voraus setzen. Diese
„Interessenvertretung und politische Einflussnahme“, laut DBSH 2009 Aufgabe Sozialer Arbeit, tritt in der Praxis immer mehr in den Hintergrund.
- Dozent/in: Judith Drechsler